Vorwort

Anfang November 2010 fiel die folgenschwere Entscheidung: Ich werde den Appalachian Trail von Maine nach Georgia gehen. Ich war bei unserer Ostküsten-Tour im Juni am Lake Fontana am Fuße der Great Smokie Mountains auf ein Schild gestossen, das mich nicht mehr so richtig losließ. 
Ein Freund hatte mir kurz darauf ein Buch zu diesem Thema geschickt (Picknick mit Bären von Bill Bryson) und nach und nach holte ich mir mehr und mehr Informationen über diesen sagenumwobenen ‚Fernwanderweg’ im Osten der USA ein und überlegte mir wie ich auf diesen Weg passe - oder viel mehr wie dieser Weg in mein Leben passt. Es wurde mir sehr schnell klar dass der Weg nicht nur ‚passt’ sondern in mein Leben ‚gehört’ - dies war die Herausforderung auf die ich gewartet hatte:

2181 Meilen entlang der Appalachen, der Gebirgskette die etwas zurückversetzt die Atlantikküste der Vereinigten Staaten säumt. Insgesamt 14 Bundesstaaten durchquert oder streift der Trail, den, in nördliche Richtung, etwa 1000 Wanderer pro Jahr in Angriff nehmen. Der Nord-Süd Variante stellen sich nur etwa 250 Wagemutige. Die Erfolgsquote liegt bei unter 25 Prozent.


Unter dem Namen 'Kisimba - Warrior of the Light' machte ich mich Anfang Juli 2011 auf, die 3500 Kilometer des Appalachian Trail zu 'bezwingen'.


Dies sind meine Geschichten.

7. Juli 2011: Let's get started

Nach einer kurzen Nacht, d.h. Aufstehen um 3:15, geht es ab in Richtung  Houston. Meine Frau und die beiden besten Hunde, Bonny und Clyde, bringen mich zum Flughafen. Ein kurzer aber schwerer Abschied - ich werde die drei für mehrere Monate nicht sehen und ich vermisse sie jetzt schon. Um 6:20 geht meine Maschine nach Atlanta um von dort aus über Detroit nach Bangor, Maine zu fliegen. In Detroit erfahre ich, daß mein Flug nach Bangor sich um eineinhalb Stunden verspätet. Ich rechne und stelle fest, daß mein bisher komfortables Zeitpolster in Bangor, um vom Flughafen in die Stadt zum Busbahnhof zu kommen, auf eine knappe Stunde zusammenschrumpft. Ich habe prinzipiell nichts dagegen in letzter Minute irgendwo anzukommen wo ich mich auskenne, aber wenn ich das Terain nicht kenne und nicht weiss wo ich hin muß sieht das anders aus. Ich versuche dennoch zu relaxen und verbringe die paar Stunden auf dem Flughafen in Detroit mit einer meiner Lieblingsbeschäftigungen: Menschen beobachten.

8. Juli 2011: Größter Berg - Mt. Katahdin

Um 5Uhr stehen wir auf, richten erst uns und dann unsere Rucksäcke für den Tag. Letztere deponieren wir auf dem Weg zum Appalachian Trail Cafe in Paul’s SUV im Hof der Lodge. Das Cafe ist im Ort und gehört auch Paul und seiner Frau Jamie. Es ist liebevoll eingerichtet, mit Bildern und allem möglichen Tand ’Rund um den AT’. Das Frühstück ist hervorragend und wir stärken uns ausgiebig für den vor uns liegenden großen Tag. Punkt 6:30 ist Abfahrt angesagt und nach weiteren Tips und Anekdoten von Paul sind wir nach einer knappen Stunde im Baxter State Park und fünf Minuten später am Fuße von Mt. Katahdin an der Ranger Station von Kathadin Stream Campground. Hier deponieren wir unsere großen und schweren Rucksäcke auf dem Frontporch und ‚leihen’ uns aus dem Schrank je einen kleinen Tagesrucksack. Nachdem wir diese mit den Utensilien für den Tag gefüllt haben werden wir von einem Ranger noch registriert und bekommen eine Einweisung in den Berg: Heute ist gutes Wetter und der Berg ist ‚offen’. An Tagen mit schlechterem Wetter ist der Berg teilweise oder sogar ganz gesperrt. Trotzdem ist die Besteigung kein Sonntagsspaziergang und immer wieder müssen Menschen gerettet werden, wegen fehlender Ausrüstung oder einfach weil sie sich übernommen haben.

9. Juli 2011: Baxter State Park

Die Nacht war etwas unruhig. Etwa gegen Mitternacht hatte sich ’Smokie Bear’ (einer der beiden Jungs aus NC) zu mir ins Shelter gesellt. Sein Schnarchen ließ die gaze Hütte erbeben  und mich nicht schlafen. Ursprünglich hatte er seine Hängematte zwischen zwei Bäumen im Wald aufgehängt, doch angeblich hatte er einen Bär gehört und war dann vorsichtshalber in die Schutzhütte umgezogen. Wenn er auch draußen so geschnarcht hat bezweifle ich allerdings, daß sich ein Bär auch nur in unsere Nähe gewagt hat.
Als ich aufstehe sind die anderen schon am früstücken und packen. Ich geh den Tag nach den gestrigen Strapazen etwas langsamer an. Zum Frühstück gibt’s Kaffee und Haferflocken (Oatmeal). Mein selbstgebastelter Spirituskocher hat ja bereits gestern Abend seine Feuertaufe bestanden und leistet auch heute früh wieder gute Dienste. Flatlander gesellt sich zu mir und fragt ob er mit mir wandern kann und ich lade ihn gerne dazu ein.

10. Juli 2011: 100 Miles of Wilderness - 1.Tag


Nach einer ruhigen und erholsamen Nacht verlassen wir Vier, nachdem wir gepackt und gefrühstückt haben, gegen 8:30 den Campingplatz. Beim passieren des Camp Stores beschließen Hugh und Smokie Bear, daß anbetracht der bevorstehenden Passage, ein zweites Frühstück in Form eines Egg and Cheese Sandwich ganz angebracht wäre; schließlich ist hier die letzte Gelegenheit dazu. 
Flatlander und ich gehen weiter, zumal die Jungs uns zusichern, daß wir nicht zu warten brauchen und sie uns später schon einholen werden. 
Auf der Abol Bridge überqueren wir den Penobscot River, an dessen Ufer wir gestern mehrere Meilen entlag gewandert sind. Von der Brücke bietet sich uns wieder ein herrlicher Blick auf  Mt. Katahdin, der sich hier als einzige Erhebung dieser Größenordnung am Himmel abzeichnet. Kurze Zeit später verlässt der AT die befestigte Straße und wir biegen nach links in die ’100 Miles of Wilderness’ ein. Ein Schild warnt uns vor unbedachtem Weitergehen:

11. Juli 2011: 100 Miles of Wilderness - 2.Tag


Nachdem wir gestern bis in die Nacht geplaudert haben sind wir heute um 8:00 aufgestanden, haben gefrühstückt und zusammengepackt. Als Flatlander und ich um Viertel nach Neun aufbrechen packen die anderen Zwei gerade ihre Rucksäcke: „Geht ruhig schon vor, wir kommen auch gleich“ - Kennen wir ja schon. Weiter geht’s über Wurzeln und Steine am Rainbow Lake entlang, mal direkt am See, mal etwas weiter abseits durch den Wald.

12. Juli 2011: 100 Miles of Wilderness - 3.Tag



Donner und erste Regentropfen auf meinem Zelt wecken mich gegen Mitternacht auf. Gerade noch rechtzeitig um Hut, Schuhe und Stöcke ins Trockene zu holen bevor das Gewitter über uns hereinbricht. Mein 1kg Leichtbauzelt lässt an ein paar Stellen durch und der Eingang muß etwas abgespannt werden. Somit bin ich die folgende Stunde mit Pfützen aufwischen und Lappen  auswringen beschäftigt. Mit meiner Tasse fange ich unter dem gespannten Eingang einen Liter Wasser auf.
Nach dem Frühstück packen wir unsere 7 (oder auch mehr) Sachen, incl. nassem Zelt und ziehen los in Richtung Nesuntabunt Mountain - diesmal mit Hugh und Smokie Bear, jedenfalls die erste halbe Meile. Beim Anstieg zum Gipfel fallen die Jungs zurück: “Geht ruhig weiter, wir kommen gleich“ rufen sie uns zu und nesteln an ihren Rucksäcken herum. Flatlander und ich ziehen weiter und machen noch unsere Scherze, irgendwann heute abend werden sie schon auftauchen - noch nicht ahnend, daß wir die Beiden hier zum letzten mal sehen. Später spekulieren wir noch eine ganze Woche darüber nach, aber letztendlich bleibt nur die Vermutung, daß sie aufgegeben haben.
Der Regen hat die Luftfeuchtigkeit ansteigen lassen und es ist unangenehm schwül. Oben auf dem Berg ist ein kleiner Aussichtspunkt und wir machen eine kleine Pause. Die Luft ist dießig und durch ein Loch in den Wolken erhaschen wir einen Blick auf den unter uns liegenden Nahmakanta Lake, ein sehr interessanter Anblick. Gegen später reissen die Wolken auf und wir können sogar Mt. Katahdin sehen. Hier oben treffen wir auf ein Pärchen Thru-Hiker aus Tennessee, Missing Link und Red Dane, die hier sozusagen kurz vorm Ziel sind. Die Beiden haben die Tour vor 10 Jahren schon mal gemacht, hatten aber inzwischen vergessen wie hart es war.
Die Wurzeln und Steinstufen, die den Berg hinab führen sind nass und rutschig und mit Sorgfalt zu genießen. Unsere Knie schmerzen nach wie vor, bei mir insbesondere das Rechte und jedesmal wenn ich ausrutsche fährt ein stechender Schmerz in eben jenes. Jetzt bloß gut aufpassen und ja nichts kaputt machen!
Kurz nach 11 passieren wir Wadleigh Stream Lean-To, das von etlichen Teenage Jungs be- und umlagert ist. Hier fassen wir am Bach frisches kühles Wasser und lassen uns dann ca. 500 Meter später am Ufer des Nahmakanta Lake nieder um Mittagsruhe zu halten. 
Mit der ‚Ruhe’ ist es allerdings nicht allzuweit her, da auch hier eine Horde französisch sprechender Jungs (die zu denen am Lean-To gehören) sich tummeln und im absolut kristallklaren Wasser des Sees baden. Wir entledigen uns unserer durchgeschwitzten Sachen und tun es ihnen gleich. Das Wasser ist herrlich und ich wasche nicht nur den Schweiß von meiner Haut, sondern auch gleich aus meinen Sachen. Diese können später außen am Rucksack befestigt in der Nachmittagssonne trocknen. Nachdem wir uns gestärkt und ausgeruht haben gehen wir am Ufer des Sees entlang nach Süden. Nach 2 Meilen verlassen wir den See und folgen Nahmakanta Stream für mehrere Stunden. Das Gelände ist (enlang des Sees und des Flusses) ziemlich eben und wir kommen gut voran. Zwar schmerzen Beine und Kniee aber der weiche Waldboden tut gut und die Belastung ist um einiges geringer als Auf- oder Abstieg über Felsen und Wurzeln. Mit einem 2 stündigen ‚Power-Marsch’ schaffen wir es genau um 19:00 zum Boat Dock von White House Landing. Das ehemalige Holzfäller Camp liegt etwa eine Meile abseits vom AT und wird von Privatleuten betrieben. Es ist mehr oder weniger ein Geheimtip, nicht gerade billig, aber viele lassen sich etwas Komfort in der Mitte der 100 Miles of Wilderness auch schon mal was kosten. Ursprünglich hatte ich nicht geplant hier zu stoppen, aber nachdem so viele Leute davon geschwärmt hatten und Flatlander diese Station fest eingeplant hatte lasse ich mich halt überreden. Man kommt auf der gegenüberliegenden Seite der Bucht aus dem Wald an einen Bootssteg und per Pressluftfanfare signaliseirt man dass man gerne abgeholt werden möchte. 
Kurz nachdem wir das Signal gegeben haben kommt ein Motorboot über die Bucht und holt uns ab. Wir checken für die Nacht im Schlafsaal ein und bestellen gemeinsam eine Pizza zum Abendessen. Wir nutzen die Zeit, bis diese geliefert wird und duschen im Badehaus. Der Platz ist wirklich zum verlieben, mehrere einzelne kleien Gebäude und das Haupthaus sind liebevoll hergerichtet, der Rasen gemäht, eine kleiner Gemüsegarten angelegt und das alles liegt einfach sehr idyllisch direkt am Seeufer.
Als unsere Pizza und die Cola’s von der Dame des Hauses in unser Gebäude geliefert wird lernen wir dort auch Kirk kennen, der schon früher angekommen ist - wir 3 sind die einzigen Gäste für heute Nacht. Wir unterhalten uns noch eine ganze Weile bevor wir müde in die Betten sinken. Als ich nachts kurz raus muß steht ein fast voller Mond über dem gegenüberliegenden Ufer und spigelt sich im See ...